Leserbrief zu "Heimat Babylon" von Bendit/Schmid


In dem von Daniel Cohn Bendit und Thomas Schmid verfaßten Buch "Heimat Babylon" wird in politisch unverantwortlicher und diskriminierender Weise über Sinti und Roma berichtet.

Ohne den Zusammenhang des vermeintlich guten Willens außer acht zu lassen, dominiert dennoch bei den Autoren in den wenigen Passagen, die sich mit Roma beschäftigen, die klassische Konstruktion von Ethnie, Problem und Delinquenz. Damit wird bedenkenlos die Grundhaltung fortgeschrieben, die gerade jetzt durch offenen aggressiven Fremdenhaß viele MigrantInnen und nicht zuletzt Sinti und Roma an Leib und Leben bedroht. Beim Lesen der Zeilen verbleibt der nachhaltige Eindruck von der Legitimität des gefährlichen Vorurteils.

Das im Buch zitierte Scheitern der vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten initiierten Studie aufgrund des von Sinti und Roma zu Recht geäußerten Vorwurfs des Rassismus und der Sondererfassung, hat die Verfasser offensichtlich nicht eines Besseren belehrt ! Vielmehr wird die Kritik an der Untersuchung als "Denkverbot" abgetan und der Grund der Verhinderung, nämlich fehlendes Fingerspitzengefühl gegenüber den Betroffenen, den Vereinen angelastet. Die Roma Union Frankfurt am Main wehrt sich massiv gegen die von Daniel Cohn Bendit erhobenen Vorwürfe.

Darüber hinaus ist unmißverständlich festzustellen, daß das in dem Zusammenhang erwähnte Projekt der Beratungsstelle für Roma bis jetzt nur deshalb gescheitert ist, weil die dazu benötigten Gelder nicht vorhanden waren und es keine Räumlichkeiten gab.

Im Kontext Roma und Asyl wird der Tenor weiter entwickelt. Es drängt sich auf, Opfer zu Tätern zu stempeln, wenn es entsprechend heißt, "Nach dem Ende des Sozialismus in Rumänien verstehen dort viele unter Demokratie auch das Recht, endlich mit der - ohne Zweifel oktroyierten - Koexistenz der Ethnien Schluß zu machen und die lästigen Roma mehr oder minder gewaltsam vertreiben zu können. Wenn Deutschland es mit der Demokratie ernst meint, hat es keine andere Wahl als diese ungebetenen und oft in der Tat provozierenden Gäste aufzunehmen. Sehr viele werden es nicht sein; aber aufgrund ihrer Lebensweise werden sie ständig Anstoß erregen und damit z. B. auch die öffentliche Diskussion um das Institut des Asyls negativ beeinflussen."


Abgesehen davon, daß die einschlägigen Eigenschaften, mit denen Roma auch hier wiederholt tituliert werden, nicht mal in Anführungszeichen stehen, somit zumindest Fragwürdigkeit zum Ausdruck käme, wird jede Sensibilität und Differenzierung über Bord geworfen. Die vorbehaltlose Verwendung von ebenso falschen wie diskriminierenden Kennzeichnungen öffnet den konsequenzreichen Begriffen wie "Scheinasylanten, Sozialhilfeerschleichern, Flut und Überfremdung", wenn auch unbeabsichtigt, Tür und Tor.

Die gründlichere Recherche, Unterscheidungsvermögen, Selbstkritik und die Bemühung, anstelle der hinlänglich bekannten Beurteilung einer ganzen Ethnie, deren Integrität, Geschichte und deren Anrecht auf Widersprüchlichkeit - so wie wir es auch tagtäglich in Anspruch nehmen - zu akzeptieren, wäre gerade jetzt dringend geboten und stünde den Autoren besser zu Gesicht. 

Zitate wie, "Wo Sinti und Roma auftauchen, werden sie in der Regel schnell zu troublemakers, die fast ausschließlich als Last und Zumutung erscheinen und die in der Tat insofern asozial, oder genauer: nicht-sozial sind, als sie nicht erkennen lassen, daß sie zu der Gesellschaft, in der sie leben, Zugang finden wollen", was dann durch ein Beispiel unter Beweis gestellt wird, in dem die Rede von einer Familie ist, deren Aktivitäten "zu den wildesten (und möglicherweise gar nicht so falschen) Vermutungen" in der Straße und bei den Autoren Anlaß geben, sind entweder auf unreflektiertem Stammtischniveau anzusiedeln oder kolportieren wider besseres Wissen das Gerücht über die Roma. Bezüglich der angeführten Familie muß der Wahrheit halber berichtigt werden, daß die sogenannten lieben Nachbarn nichts unversucht ließen, die Roma aus ihrem Kreis rauszuekeln, zu denunzieren und endgültig zu vertreiben. Geschafft. Heiles Deutschland!

Selbst die Absicht, doch eigentlich integrieren zu wollen, kehrt sich bei der Lektüre ins glatte Gegenteil und deformiert in bekannter Manier die Bevölkerung der Roma bis zur Unkenntlichkeit.

Die Roma Union Frankfurt am Main, das Dritte Welt Haus und der Verein zur Gründung eines Roma Gemeindezentrums in Ffm. verwahren sich mit allem Nachdruck gegen die in "Heimat Babylon" lancierten Äußerungen zu Sinti und Roma. Wir fordern die Autoren ebenso wie den Verlag Hoffmann und Campe auf, die bezeichneten Passagen unverzüglich zu streichen.

Frankfurt am Main, den 27.1.1993

Dritte Welt Haus Ffm., Roma Union Ffm. e. V. und Verein zur Gründung eines Roma Gemeindezentrums in Ffm.