Portrait einer beachtenswerten Frau (August 1993)


Warum eine deutsche Roma keine deutsche Staatsbürgerin sein kann.
(Von Joachim Brenner).

Wegen möglicher Nachteile wurde die Lebensgeschichte anonymisiert. Frau Elm ist mit Sicherheit nicht ängstlich. Das würde ihrer Einstellung, ihrem Auftreten nicht gerecht. Dennoch, die Erfahrung hat sie gelehrt vorsichtig zu sein und die vorherrschende Stimmung im Land gibt ihr recht. Nicht zuletzt, wenn es um Roma geht. 

Frau Elm ist 63 Jahre. Der Vater war Pferdehändler, hatte eine Tischlerei und Schlosserei. Das Geschäft ging gut. Die Familie konnte davon leben. 1939 wurden die Eltern festgenommen und ins Arbeitslager Nürnberg gebracht. Die Kinder kamen ins Heim. "Bloß weil wir Roma waren". Nach einem Jahr "waren wir alle auf dem Transport". Brüder und Vater müssen ins KZ Dachau, Mutter und Schwestern ins KZ Ravensbrück. 

Das Frauenlager Ravensbrück ist berüchtigt. Alte und Gebrechliche werden im Krankenblock durch Spritzen getötet. Schläge, Demütigungen sind an der Tagesordnung. Von Ravensbrück aus verfrachtet man Häftlinge nach Auschwitz. Frau Elm wußte - im Gegensatz zu Verlautbarungen der Täter und Mitläufer - was die Deportation ihrer Mutter und Geschwister bedeutet. "Wir haben gehört, daß dort die Leute vergast werden". Sie zieht beim Appell die Mutter aus der Reihe. "Ich wollte sie retten, sie sollte nicht nach Auschwitz kommen". Weil sich die Tochter widersetzt, werden beide in Handschellen gelegt, einen Tag und eine Nacht in einen Kellerraum gesteckt, in dem ihnen das Wasser bis zum Mund steht und nach der Tortur mit glühenden Eisen malträtiert. Die Mutter und fast alle Angehörigen von Frau Elm sind in Auschwitz ermordet worden. 

"Dann sind wir von Ravensbrück nach Mauthausen gekommen. Im Waggon waren auch Tote. Es war so eng, daß wir auf den Leichen schlafen mußten". Die Arbeit im Steinbruch und auf den Feldern ist unmenschlich. Alle Wege sind vermint. Viele werden getötet. Noch vor dem Eintreffen der Alliierten, will die SS das KZ samt allen Gefangenen in Brand setzen. Ein Lageraufstand hindert sie daran. Die Wachmannschaft wird von den Häftlingen festgenommen. "Wir haben uns selbst befreit". 

Es ist bemerkenswert, wie Frau Elm von allem spricht. Sie hätte Grund zur Wut und Verzweiflung. Daß sie "schlecht behandelt" wurde, wie sie resümiert, zeigt, wie schwierig es ist, über das zu reden, was man ihr zugefügte. Es weist aber auch auf, daß sie sich angesichts dessen was sie erlebte nicht unterkriegen ließ, daß sie stolz darauf ist, sich den Nazis in den Weg gestellt zu haben. Eine Haltung, die ihr Leben lang blieb, "Roma zu sein und sich nichts gefallen zu lassen".

Nach der Befreiung muß sie noch sechs Wochen im Lager bleiben, "weil in der ganzen Gegend noch so viele Nazis waren". Ob es noch Verwandte gibt, weiß sie nicht. Mit Überbrückungshilfe schlägt sie sich nach 45 durch, lernt ihren Mann, einen deutschen Rom, der durch sieben Lager ging, kennen, kriegt das erste Kind. Ihr wird amtlich bestätigt, während des Nationalsozialismus in KZ-Haft gewesen zu sein, daß die Eltern und sie in Deutschland geboren sind. "Die Papiere sind gekommen, da hat`s gestanden, daß ich Deutsche bin, schwarz auf weiß". Frau Elm hat endlich ihren Personalausweis. 

Was im KZ passiert ist, kann nicht wiedergutgemacht werden. Dieser beflügelte Begriff dient vornehmlich zur Entschuldigung der Täter. Allerdings ist eine finanzielle Entschädigung notwendig. Die wird zwar an die Frau gezahlt, jedoch fein säuberlich mit der Sozialhilfe verrechnet, so, als wäre die minimale Gewährleistung der Existenz von jemandem, der nicht durch Arbeit oder Gas vernichtet wurde, schon Entschädigung genug. Ein nicht erwähnenswerter Restbetrag bleibt übrig.

Die Familie zieht nach Frankfurt am Main. Die Vergangenheit holt sie schnell wieder ein. Frau Elm stellt sich als Zeugin in dem Prozess gegen eine SS-Aufseherin des KZ Ravensbrück zur Verfügung. "Ausgerechnet mich haben sie gefragt". Zweifelsfrei identifiziert sie die Angeklagte, die mit Hunden und Peitschen gegen die Häftlinge vorging, aus Menschenhaut Handschuhe und Lappen fertigen ließ. 

Herr Elm arbeitet als Geschäftsmann. Fünf Kinder sind jetzt da. "Sie gingen zur Schule, jeden Tag, alles war in Ordnung". Frau Elm ist als Hausfrau tätig. Die Spätfolgen der Internierung, vor allem das Herzasthma, zwingen den Mann früh in Rente. Mit 68 Jahren stirbt er. Die Frau sorgt nun alleine für die Familie. "Das Leben geht weiter". 

Den Behörden blieb ihre Identität als Roma offensichtlich ein Dorn im Auge. Bei der Verlängerung des Personalausweises wird das Dokument entzogen. Ein Ersatzpapier, der Fremdenpaß für Staatenlose, akzeptiert Frau Elm nicht. "Ich bin öfters raufgegangen und habe meinen Personalausweis zurückverlangt. Ich bin eine deutsche Rom". Die Ausländerbehörde ist stur. "Es wäre nicht festzustellen, ob ich wirklich Deutsche bin. Die sagten, ich bin doch Roma, Zigeunerin, sie können nicht deutsch sein". 

Frau Elm ist jetzt Rentnerin. Sie lebt nicht im Altersheim, sondern, so wie es bei Roma üblich ist, mit Kindern und Enkeln zusammen. Ein Sohn ist früh an Schlaganfall gestorben. Den anderen geht es gut. Trotz Krankheit ist sie aktiv. Verbitterung ist nicht zu spüren, Anklage schon, die Auflehnung gegenüber dem, was ihr angetan wurde und die Einstellung "sich nichts gefallen zu lassen"!