Himmlers "Auschwitz-Erlass" 1942
Rede auf der Gedenkveranstaltung am Gesundheitsamt FFM (16.12.2003)


Der 16.Dezember 1942 und die Personen Robert Ritter und Eva Justin stehen in einem direkten mörderischen Zusammenhang:
Der Erlass Heinrich Himmlers und die folgenden Deportationen der Roma und Sinti nach Auschwitz-Birkenau, begründen sich direkt aus den Forschungsarbeiten der beiden so genannten Rasseforscher. Ihr Spezialgebiet: „Zigeuner“. Vor den Deportationen, im Frühjahr 1943, wurden Robert Ritter und Eva Justin noch einmal konsultiert. Ihre Arbeiten waren der pseudo-wissenschaftliche Hintergrund für die Entscheidung, über 20 000 Roma und Sinti aus elf Ländern Europas nach Auschwitz-Birkenau zu deportieren, um sie dort zu ermorden.
Bevor die Deutschen von den alliierten Truppen gestoppt wurden, hatten sie mehrere Millionen Menschen, darunter sechs Millionen Juden und eine halbe Million Sinti und Roma zu Tode gequält, erschlagen, verhungern lassen, erschossen und vergast. Ein Verbrechen, das die Menschheit bis dato noch nicht gekannt hatte und auch nicht vergessen darf.

Die Nachkriegskarrieren von Ritter und Justin stehen auch exemplarisch für die Bürger einer Gesellschaft, die nach 1945, trotz amerikanischer und sowjetischer Zivilisierungsversuche, so mit den deutschen Verbrechen verbunden waren, dass es für sie undenkbar war auf das nationalsozialistische Personal in Staat und Verwaltung zu verzichten. Und deshalb noch weniger bereit waren, dieses Personal zu ächten oder gar für ihre Verbrechen zu bestrafen.

Während die Opfer ihr Leiden und ihren Verlust in einer diskriminierenden Art und Weise bis ins Kleinste beweisen mussten, konnten die Täter sich darauf verlassen für ihre Verbrechen nicht bestraft zu werden. So kamen auch Robert Ritter und Eva Justin ohne großen Schaden durch den Rest ihres verbrecherischen Lebens. Die Stationen ihres weiteren Lebens, ihre Arbeit hier am Stadtgesundheitsamt oder ihre Rolle als „Begutachter“ in Entschädigungsverfahren zum Nachteil betroffener Roma und Sinti, sind bekannt und wurden schon oft hier, an dieser Stelle, dargelegt.

Dass wir heute an diesem Ort so Wenige sind und dass das Interesse an Erinnerung gegen Null tendiert, bestätigt diese Kontinuität. Die Verbrechen ihrer Großväter und Großmütter, ihrer Väter und Mütter, haben für die jetzigen Deutschen nur insoweit eine Bedeutung, wie ein Prestigeverlust im Ausland zu erwarten wäre. Innerdeutscher Antrieb zur Erinnerung oder Bedenken gibt es wenig. Nur unter Druck von außen werden sie etwas in ihrer „Gemütlichkeit des Grauens“ aufgescheucht, wie die Verhandlungen zur Entschädigung von Zwangsarbeiter zeigen. Und hier war die Verhandlungstaktik: Verzögern bis die Anspruchsberechtigten sterben und gleichzeitig deutsches Prestige – und Geschäftsinteresse im Ausland steigern.

Die Täter und ihre Nachfahren wollen heute den Opfern ihren Anspruch auf Empathie und vor allem auf Entschädigung streitig machen, indem sie sich selbst als Opfer des Nationalsozialismus und der Alliierten inszenieren. Im Mittelpunkt des aktuellen gesellschaftlichen Interesses stehen mittlerweile die alliierten Bomben auf deutsche Städte oder die revanchistischen Ansprüche der Vertriebenenverbände.

Wenn die Opfer bisher beweisen mussten, dass sie überhaupt Opfer der Deutschen waren, werden sie sich in Zukunft bei den Tätern dafür entschuldigen müssen, Opfer gewesen zu sein.

Die tagtägliche Diskriminierung der Rom und Sinti in Deutschland bringt in diesem Land keinen Skandal hervor.

Beispiel Kölner Polizei: Sie hat strafunmündige Roma-Kinder, überwiegend Mädchen im Alter bis 14 Jahre, im Rahmen so genannter Ermittlungsmethoden – selbstverständlich ohne richterlichen Beschluss – u.a. zum Altersröntgen gebracht, d.h. die Kinder wurden zwangsweise von Ärzten geröntgt um ihr Alter festzustellen, sie wurden von Beamten und Beamtinnen nackt ausgezogen und fotografiert; verschmutzte Wäsche, Ausscheidungen und der Körpergeruch der Kinder interessierten die Ermittler besonders.

Diese Polizeibeamten sind Teil der Sonderkommission EK-Tasna, der Name benennt bereits das rassistische Programm: es ist das serbo-kroatische Wort für Tasche. Viele Roma Flüchtlinge, die in Köln Zuflucht gesucht haben, kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

In einer jahrelang angeheizten Stimmung durch Presse, Bürgermob und brutalisierte Sondereinsatz-Polizeimethoden wird gegen Roma-Kinder vorgegangen. Gerechtfertigt wird dies mit Phantasien: „Unser Köln: Hauptstadt der Taschendiebe“. Zwar wird in der Fachzeitschrift „Der Kriminalist“ dieser Eskalation ernüchternde Fakten entgegengesetzt, aber einfache Menschen wie Bürger in Uniform, aufgebrachte Kleinbürger und die Journaille sind faktenresistent, sie treibt etwas anderes an.

Die Kinder werden aufgegriffen, aufs Präsidium gebracht und erkennungsdienstlich behandelt, d.h. Fingerabdrücke werden abgenommen und man fotografiert sie. Danach hat man sie noch nackt ausgezogen und mit heruntergezogenen Unterhosen dokumentiert. In akribischer Weise haben die Beamten beschrieben, welche Ausscheidungen vorliegen, wie deren Geruch einzuschätzen ist, wie oft die Körperpflege erfolgt und wie verschmutzt die Kinder sind. Welche Angst, welche Demütigung, welche psychische und verbale Gemeinheit diese Kinder zu erleiden hatten, - ich mag es nur erahnen.
Die Diskriminierung und Beleidigung zielt auf die gesamten Roma-Familien ab, sie sind die strafmündigen Täter, sie will man abschieben. Repression und Abschiebung haben hier ihr Lokalkolorit.

Festzustellen ist, dass diese menschenverachtende Vorgehensweise gegenüber Roma wiederholt in Köln praktiziert wurde. Bereits Mitte der 90er Jahre wurden Roma-Frauen zwangsweise gynäkologisch untersucht, man hatte ein anonym-ausgesetztes Baby gefunden. Ein Zusammenhang zwischen dem Baby und den Frauen wurde nie ermittelt – aber der kontinuitive Zwang der Täter ist offensichtlich.

Die Würde des Menschen, insbesondere die von Kindern, endet bei Roma. Der Vorsatz, die ihm innewohnende Ignoranz, das Vokabular der Beschreibung der Kinder, die widerwärtige Art der Befragung erinnert alleine an jene rassistische Haltung, die schließlich in Sippenhaft und Aberkennung jeglicher menschlichen Existenzberechtigung mündete.

Der Skandal einer menschenverachtenden Praxis endet bei Roma – nicht nur in Köln.

Auch in Frankfurt am Main. 80 Prozent der Flüchtlinge aus Rumänien, die vom Förderverein Roma beraten werden, leben in ungesicherten aufenthaltsrechtlichen Verhältnissen. Die Ausländerbehörde forciert schrittweise den Prozess der Ausweisung.

Seit Juni diesen Jahres bietet der Förderverein Roma im Rahmen einer EU-Initiative ein Qualifikations- und Beschäftigungsprojekt für Roma-Jugendliche aus Rumänien an. Von den 15 Jugendlichen wurde bereits ein Junge ausgewiesen, ein Mädchen befindet sich im Petitionsverfahren und zwölf Teilnehmern droht die Abschiebung, da sie, ungeachtet der Tatsache, dass manche bereits seit über zehn Jahren in Deutschland leben, lediglich geduldet sind.

Der überwiegenden Mehrheit der Kinder, die die Kindertagesstätte „Schaworalle“ besuchen, droht die Beendigung des Aufenthaltes. Die Eltern leben mit dem ausländerrechtlichen Status „Aussetzung der Abschiebung“. Einem Titel, der jederzeit in die Abschiebung führen kann. In den letzten 12 Monaten sind alleine zehn Kinder der Einrichtung ausgereist, da sie der drohenden Abschiebung und der damit verbunden Einreisesperre zuvorkommen wollten.

Protest regt sich nicht, die Abschiebung der Roma in Armut und Perspektivlosigkeit wird stillschweigend oder ausdrücklich begrüßt.

Auch daran wollen wir am heutigen Tag erinnern.

Vielen Dank.


Förderverein Roma e.V., 16.12.2003

 

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