|   Die intensive Begleitung und 
Betreuung von Familien soll nach Maßgabe der Erziehungsbeistandschaft bei 
Erziehungsaufgaben, der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von 
Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen 
unterstützend wirken und die Motivation zur Selbsthilfe mobilisieren. Die 
Erfahrung hat gezeigt, dass, orientiert an den Strukturen der aus Polen und 
Rumänien stammenden Roma-Familien, das Vertrauen, die Sensibilität und die 
persönliche Glaubwürdigkeit der MitarbeiterIn den Schlüssel zu allen 
pädagogischen Aktivitäten darstellen. Gerade die im Vorfeld der beschriebenen 
Probleme, deren Focus immer Bezug auf Großfamilie nimmt, können nur gemeinsam 
bearbeitet werden, wenn eine gegenseitige Öffnung und Akzeptanz angestrebt wird. 
Es bedarf seitens der Mitarbeiterin einer großen Empathie, sich mit 
Entscheidungsmechanismen, Hierarchien und Lebensformen auseinander zu setzen, 
die vorerst antiquiert erscheinen, im Kern allerdings die Erklärung für viele 
Fragen und Wünsche der Kinder/Jugendlichen und der Eltern darstellen.Die klassische Trennung zwischen der Sicherung der Existenz – im wahrsten Sinne 
des Wortes – und den Problemen, die danach kommen, wie Schule, Ausbildung, 
Berufstätigkeit, Identitätsfindung, Generationskonflikte, ist im Felde der 
Arbeit mit Roma-Familien und Flüchtlingen nicht gegeben. Aufgrund der sozialen 
und ökonomischen Situation der Menschen, allerdings auch aufgrund ihres 
traditionellen und kulturellen Profils, ihrer Erfahrung und Lebensgestaltung 
spielt sich jedes Thema vor dem Hintergrund der verantwortlichen 
Familienmitglieder ab. Dies sind oft nicht allein die Mutter und/oder der Vater, 
sondern alle näheren Verwandten, denen das Wohl oder die gemeinsame Perspektive 
am Herzen liegt und die ebenso verbindlich zuständig sind, wie die leiblichen 
Eltern.
 Ansätze, die sich an der/dem Alleinerziehenden bzw. der Kernfamilie orientieren, 
bieten in der praktischen Arbeit wenig Grundlage. Selbst wenn vorerst, als 
Ansprechpartner lediglich eine junge Frau mit ihren Kindern auftritt, so zeigt 
sich nach kurzer Zeit, dass hinter den Protagonisten ein recht kompliziertes 
Netz von Verwandten steht, die in allen Fragen der Familien- und Lebensplanung 
mitreden und mitentscheiden. Die ersten Schritte sind davon gekennzeichnet, mit 
den wichtigsten Ansprechpartnern, nämlich der Mutter und den Kindern ein 
Verständnis aufzubauen, das im gesamten Familienverband geteilt wird. Auch 
angesichts zunehmend individueller Lebenskonzepte von Jugendlichen, denen die EB 
vor allem Rechnung trägt, geht es weniger um die Klein-, Teil- oder 
Patchwork-Familie, sondern um die Tätigkeit innerhalb einer Gemeinschaft, die 
verbindlich und verantwortlich alles Tun und alle Wünsche bespricht und 
organisiert. Der große Rahmen einer solchen Gemeinschaft umfasst bei 
entsprechenden Treffen oft mehr als hundert Menschen. Der Kern, der als 
Hintergrund der Arbeit zu sehen ist, beschreibt in der Regel zwischen zehn und 
zwanzig Personen.
 Selbst die Ausnahme, d. h. der Wunsch von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen 
aus bekannten Strukturen auszubrechen, neue Lebensentwürfe zu versuchen, 
beinhaltet die ständige Bezugnahme zur Großfamilie. Die gesellschaftliche 
Konfrontation mit verschiedensten Perspektiven bedingt selbstverständlich auch 
bei Roma den Mut und den Wunsch eines Ausbruchs. Diese Praxis ist oft eine 
Mischung von individueller Freiheit mit – der verlässlichen Sicherheit innerhalb 
der Großfamilie.
 
 Kriterien der Erziehungsbeistandschaft innerhalb Roma-Familien
 
 - unter Berücksichtigung der 
individuellen und altersadäquaten Entwicklung der Jugendlichen ist die 
Kontaktnahme zu Gleichaltrigen zu gestalten,
 - die Eigenreflexion (Erfahrungen, 
Vorstellungen) der HelferInnen ist Grundlage der Tätigkeit,
 - die Arbeit wird in der Regel mit 
unterschiedlichen Bezugspersonen organisiert, wobei die Familie eine bedeutende 
Rolle spielt,
 - es ist notwendig, auf die wichtigen 
einflussnehmenden Bezugspersonen einzugehen, die relevanten Partner in die 
Planung und Durchführung zu integrieren,
 - hinsichtlich der Identitätsbildung 
der Jugendlichen bildet das Spannungsverhältnis zwischen persönlichen 
Vorstellungen und den Normen, Werten, Perspektiven und Regeln der Familie den 
Arbeitshintergrund,
 - Widerspruch zwischen persönlichen 
Vorstellungen und den Normen, Werten, Perspektiven und Regeln der Familien 
besteht,
 - es sollte generell berücksichtigt 
werden, dass die pädagogische Arbeit mit Roma, insbesondere mit Jugendlichen und 
jungen Erwachsenen nur entwickelbar ist, wenn sie im historischen Kontext 
(Verfolgung und Vernichtung, Trauma der Überlebenden, strukturelle 
Diskriminierung, Klischee- und Vorurteilsbildung) dargestellt wird,
 - insbesondere ist die Situation der 
Flüchtlinge und Migranten hinsichtlich ihrer individuellen früheren Erfahrung 
von Benachteiligung im Herkunftsland und aktuellen Ausgrenzungen zu 
berücksichtigen,
 - zum Bereich 
Schule/Ausbildung/Erwerbstätigkeit wird festgestellt, dass das Verhältnis der 
Eltern zur Institution, ihre Aktivitäten bezüglich des Schutzes der Jugendlichen 
vor einer fremden Einrichtung und vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung zu 
betrachten ist. Aspekte in diesem Zusammenhang sind:
 o die Kontaktnahme der Bildungsstätte 
gegenüber den Eltern,
 o die Erfahrung struktureller 
Diskriminierung durch Bildungsinstitutionen,
 o die Vorgehensweise innerhalb der 
Ausbildung/Qualifizierung,
 o die Priorität der Förderung des 
Jugendlichen durch die HelferInnen, im Zweifelsfall auch im Konflikt gegen die 
Eltern,
 
 - als Erziehungswerte seitens der 
Familien werden definiert:
 o der familiäre Schutz,
 o der Stellenwert des Jugendlichen 
innerhalb der Familie,
 o der Widerspruch zwischen 
Jugendlichen und Eltern (Schule, Zukunftsvorstellung ...)
 
 - Erziehung bekommt so die Aufgabe, 
persönliche und gesellschaftliche Ziele und Verhaltensweisen unter Wahrung der 
Identität des Jugendlichen und unter Berücksichtigung des familiären Kontextes 
zu vermitteln
 
 Aufgabenstellungen innerhalb und Profil der Erziehungsbeistandschaft
 
 - Hilfe hinsichtlich der 
existentiellen Absicherung, die oft mangelhafte Versorgung bedingt die 
Hinzuziehung der Jugendlichen bei der Existenzsicherung und die Gefahr von 
frühzeitiger Delinquenz,
 - Unterstützung im Prozess der 
Identitätsbildung eines Jugendlichen (Abgrenzungen, Selbstdefinition, 
Einschätzungsvermögen, Orientierung und Vorbilder, geschlechtsspezifische 
Fragen, Entwicklung von Lebensentwürfen)
 - Eröffnung von Schul-, 
Ausbildungs- und Beschäftigungsperspektiven, die sich an den Kenntnissen und 
Wünschen der Jugendlichen orientiert. Hier ist insbesondere die enge Kooperation 
mit dem Projekt „Berufliche Bildung, schulische Qualifizierung und 
Erwerbstätigkeit für Roma Jugendliche und junge Erwachsene“ des Förderverein 
Roma zu erwähnen. Durch diese Aktivität sind maßgebliche Kontakte zu Betrieben, 
zum RMJ und zu anderen Akteuren der Jugendberufsbildung entstanden.
 - Unterstützung bei der 
Bereitstellung von passendem Wohnraum. Die unzureichende Unterkunft und die 
damit zusammenhängende Überbelegung sind Grundlage von Konflikten. Letztlich 
schafft erst der Aufbau von verantwortbaren Lebensbedingungen die Voraussetzung 
dafür, pädagogisch sinnvolle Arbeit leisten zu können und ist unabdingbar mit 
der Umsetzung der persönlichen Lebensvorstellungen der Jugendlichen verbunden
 - Entwicklung eines adäquaten 
Freizeitangebots (Ausflüge, Ferienfreizeiten), altersspezifische Aktivitäten 
und Einbindung in den Sozialraum des Viertels (Stadtbibliothek, Vereine, 
Initiativen)
 - Beratung bei Straffälligkeit. Die 
Aktivitäten orientieren sich sowohl an der Einsichtsfähigkeit der Betroffenen in 
den Straftatbestand als auch an der Organisation einer nachvollziehbaren 
Beschäftigung, Qualifikation, Schul- oder beruflichen Ausbildung. Die enge 
Kooperation mit der erfahrenen Sozialberatung und dem Jugendbildungsprojekt des 
Trägers ist in diesem Bereich besonders nützlich.
 - kontinuierliches Gesprächsangebot 
gegenüber den Erziehungsberechtigten
 - Unterstützung und Schaffung eines 
kontinuierlichen Schulbesuchs bzw. Hilfe bei der Suche nach der geeigneten 
Schul-, Qualifikations- und Ausbildungsmöglichkeit
 - Einbindung des Kind/Jugendlichen in 
den jeweiligen Stadtteil. Die Vermittlung von Angeboten verschiedener 
Einrichtungen für Jugendliche (Jugendzentrum, Abenteuerspielplätze, 
Ferienfreizeiten) und der Abbau von Berührungsängsten, Ressentiments und die 
Eröffnung von Erfahrungen jenseits des bekannten Umfelds stehen im Mittelpunkt
 - Begleitung bei Ämtergängen. Die 
Skepsis, die Angst und das Problem der Verständigung sind die maßgeblichen 
Hürden bei der Kontaktaufnahme. Es hat sich gezeigt, dass alleine durch die 
sensible Vermittlung und die Übernahme von notwendigen schriftlichen Aufgaben 
seitens der HelferInnen, Erfolge in der Versorgung oder auch in der Wahrnehmung 
der notwendigen Kooperation mit den Ämtern zu verzeichnen sind. Dies bedingt 
einerseits den Abbau von Klischees gegenüber Roma und trägt andererseits zum 
Verständnis bezüglich der Belange jeder Verwaltung bei,
 - Hilfe bei innerfamiliären Konflikten. 
Es kristallisieren sich bei der beschriebenen recht komplexen Struktur der 
Großfamilie und dem Leben von mehreren Generationen innerhalb eines 
verbindlichen Rahmens oft Rivalitäten und Konkurrenzen (zu den Eltern, zwischen 
den Geschwistern) durch die Einrichtung der Hilfe heraus. Die Unterstützung des 
Kindes/Jugendlichen bei Konflikten oder auch innerhalb des Ablösungsprozesses 
aufgrund anderer Perspektiven und Entwürfe des Sohnes oder der Tochter gegenüber 
den Eltern (der Bezug einer eigenen Wohnung durch die Tochter/den Sohn) sind von 
enormer Bedeutung.
 
 Das dargelegte Arbeitsfeld, die avisierten pädagogischen Ziele und deren 
Umsetzung haben einen allgemeinen Handlungsrahmen. Eckpunkte dieses 
Rahmens sind
 - die Mobilisierung der eigenen Kräfte 
und Kenntnisse innerhalb der und in Abgrenzung zur Familie und die Animation 
der Selbsthilfe,
 - die Stabilisierung der einzelnen 
Personen, der Familie und der nahesten Bezugpersonen des Kindes bzw. 
Jugendlichen,
 - die Infragestellung der Abwertung 
durch die Betroffenen selbst bzw. der Abwertung durch Fremdzuweisung,
 - der Aufbau und Ausbau der eigenen 
Handlungskompetenz und realistischen Selbsteinschätzung,
 - die Förderung und Forderung von 
individuellen Fähigkeiten, Begabungen, Talenten und Neigungen,
 - der Aufbau von 
Kooperationsbereitschaft und Verantwortungsgefühl
 - die Schaffung von 
Durchsetzungsvermögen,
 - Strukturierung des Lebensalltags,
 - Unterstützung in der Fähigkeit zur 
selbständigen Lebensführung,
 
 Der Hilfeumfang, der Verlauf, die Durchführung der EB 
erfolgt durch
 - gemeinsame Gespräche zwischen den 
HelferInnen, den Personensorgeberechtigten und dem Sozialen Dienst,
 - die Überprüfung der Arbeit anhand 
von Verlaufs-, Ziel- und Ergebnisprotokollen,
 - die Reflexion mit den pädagogischen 
Fachkräften des Vereins,
 - der außerbetrieblichen Supervision,
 - der Ausarbeitung eines Hilfeplans, 
d. h.
 o Benennung der 
unmittelbaren Ansprechpersonen (Kind, Jugendliche, Mutter, Vater, nähere 
verantwortlichen Verwandten) und der weiteren Kooperationspartner (Lehrer, 
Sozialamt, Schule, Ausbildungsstätte, Justiz, Polizei, Ausländerbehörde, 
Wohnungsamt, Jugendamt),
 o Benennung der 
Probleme (Versorgung, Unterkunft, Vernachlässigung, Lernverhalten, Schulbesuch, 
Ausbildung, familiäre Konflikte, häusliche Organisation, fehlende 
Erziehungskompetenz, Straffälligkeit, unzureichende Verständigung, Krankheit, 
Absicherung des Aufenthalts),
 o Ziele (Aufbau 
einer Vertrauensbasis, Stärkung der Eigenkompetenz, Stabilisierung im Bereich 
Schule und Ausbildung, Aufbau bzw. Stärkung von Strukturen und 
Verbindlichkeiten, Unterstützung des Lernverhaltens, Hilfe bei medizinischen und 
therapeutischen Problemen, Ausbau von Erfahrungen durch spezielle Angebote im 
Freizeitsektor, Ausbau der Wahrnehmung eigener Fähigkeiten und des 
Einschätzungsvermögens gegenüber Dritten,
 o Zeitplanung 
(Organisation und Einteilung der Stunden in der Familie und außerhalb der 
Familie im Rahmen der Freizeitgestaltung, Vereinbarung des nächsten 
Hilfegesprächs, Vereinbarung über den Termin der Abgabe des 
Entwicklungsberichtes),
 o Intervention 
(Gespräche, Begleitung, einzelne und gemeinsame Aktivitäten, Vermittlung bei 
Kontakten mit Behörden und Beratungsstellen),
 
 - der Erstellung eines 
Entwicklungsberichtes nach sechs bzw. zwölf Monaten,
 - der gemeinsamen Reflexion mit allen 
Beteiligten über die bisher geleistete Arbeit und die weitere Perspektive.
 
 
 Als eigenständiges Angebot und als Ergänzung zur Arbeit der Kindertagesstätte, 
zur sozialpädagogischen Familienhilfe und insbesondere im Hinblick auf 
Schnittstellen mit den Jugendberufsbildungsprojekt des Förderverein Roma ist der 
Ausbau der Erziehungsbeistandschaft dringend angezeigt.
 
 Ffm., den 11.7.09
 
 Joachim Brenner, Geschäftsleitung
 
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