Zur Erinnerung:
Rostocker Mahntafel hängt jetzt am Römer. Presseschau Oktober 1992



Serge Klarsfeld, Oktober 1992
Was ich am 19.10.1992 in Rostock gesehen habe

46 Aktivisten in einem Bus, der 1200 km zurückgelegt hat, um diese Stadt zu erreichen, deren Name Symbol für die gewalttätigen deutschen Ausländerfeindlichkeiten ist. 46 Aktivisten, zusammengesetzt zur Hälfte aus Kindern deportierter französischer Juden und zur Hälfte aus Enkelkindern Deportierter: Die Jugend von Betar unter Beteiligung von einigen Mitgliedern der UEJF. Warum die Jugendlichen? - Weil sie sich an unserer Sache beteiligen, weil die Jugendlichen in unseren Aktionen immer präsent waren, vor allem in unseren Kampagnen zur Verurteilung/Aburteilung von kriminellen Nazis in Deutschland, weil die FFDJF schon zur Hälfte aus 50jährigen besteht und weil auf Skinheadterrain der Schutz der Älteren gesichert sein muß.
Alle sind gekommen, um die Determiniertheit der Juden zu bezeugen, sich der für den 1.11. vorgesehenen Deportation von Roma aus der BRD nach Rumänien in den Weg zu stellen. Diese zählen zehntausende. Ein deutsch-rumänisches Abkommen wurde am 24.09.1992 unterzeichnet. Heikle Sache: 50 Jahre nach der Verhaftung und Deportation von 1600 rumänischen Juden in Paris als Folge eines vergleichbaren Abkommens zwischen dem (3.) Reich und dem Rumänien Antonescus.
Das Schicksal der Sinti und Roma, denen Asyl in der BRD verweigert wurde, ist ein gefährliches in Rumänien. Ebenso das der exjugoslawischen Sinti und Roma, die Rumänien - finanziert von der BRD - bei der Gelegenheit bereit ist, wieder aufzunehmen, um sie an die serbische Grenze zu verschieben.
Ich habe in Rostock eine Sinti- und Romadelegation gesehen, wie sie unseren Bus willkommen hieß, an Fassade des mächtigen Rathauses die Tafel befestigten, die wir zur Erinnerung an den Leidensweg der Sinti und Roma vorbereitet hatten und um Deutschland aufzufordern, Gewalt gegen Ausländer zu beenden. Ich habe Transparente von FFDJF und Betar gesehen, aber vor allem welche mit der Aufschrift "Juden solidarisch mit Sinti und Roma", "Gestern vergast - heute deportiert?" "Nein zu dem deutschrumänischen Pakt". Ich habe das am 1. Stock des Rathauses, vom Fenster des - höflich von unseren Jugendlichen in Besitz genommenen - CDU-Fraktionsbüros flatternde Transparente "Keine Ausweisung der Roma aus Deutschland" gesehen. Unten auf der Straße hatten wir die Trikolore und andere Fahnen mit Davids-Sternen. Die erste jüdische Versammlung in Rostock seit der Reichspogromnacht  (9.11.1938). Das waren aber nicht mehr diese Juden, die von der Polizei zur Aufstellung gezwungen wurden, um ins KZ zu marschieren, sondern Juden, die ohne Komplexe den Deutschen zeigten, welchen Weg sie nicht mehr gehen dürfen, um nicht wieder den Blutspuren der Nazistiefel zu folgen.
Ich habe in Rostock gesehen, wie Polizisten 4 Jugendliche mit Gewalt gepackt haben und sie in Autos zerrten und habe gesehen, wie andere Juden, darunter auch ich, sich auf diese Autos gestürzt haben, obwohl Dutzende Polizisten voller Wut schwere Knüppel benutzten. Wir haben unsere Genossen befreit, während die Polizisten vor Panik beinahe so weit waren, ihre Pistolen zu ziehen. Als es wieder ruhig war, habe ich in Rostock gesehen, wie Dutzende Polizeiautos unseren Bus umzingelten und eine Hundertschaft Polizisten, ausgerüstet wie Gladiatoren uns packten, als seien wir die rechtsradikalen Kriminellen, diejenigen, mit denen sie die Konfrontation vermeiden, wenn sie Flüchtlingsheime angreifen.
Die Juden müssen mit den Sinti und Roma solidarisch sein. Diese haben nicht aufgehört, Ziel der Verfolgung durch Nazis zu sein. Nazis, die damit geendet haben, Anstoß für viele Massaker an Sinti und Roma im Osten zu geben und die sie in Auschwitz Birkenau vergast haben. Dies insbesondere in einer Nacht des Schreckens im August 1944, als das "Zigeunercamp" ausgelöscht wurde.
In Rostock habe ich in einer Sporthalle eine von National-Chauvinismus geprägte Gerichtsverhandlung gesehen, einer Parodie gleich: Eine Armee von Polizisten, die die Beschimpfungen vervielfachten, absolut illegale Personalkontrollen, drei völlig verunsicherte Staatsanwälte, die permanent in ihren Gesetzesbücher blätterten. Allein die Intervention des französischen Konsuls in Hamburg hat die Situation verbessert, so daß ältere, leidende Leute die eiskalte Sporthalle verlassen durften.

In Rostock, wo jetzt 3 französische Aktivisten angeklagt und verhaftet sind, habe ich die Schlagzeilen mehrerer deutscher Zeitungen gelesen: alle berichten sehr ehrlich ihren Lesern: der Sinn dieser Demo: "Französische Juden demonstrieren in Rostock für Sinti und Roma; Konfrontation mit der Polizei, sie sind verhaftet". Diese deutsche Presse war immer schon der beste Komplize der Aktionen, die wir unternahmen, durch ihren Respekt vor Fakten und ihrem professionellen Bewußtsein. Sie hat immer die wahre Gewalt gesehen, da wo sie sich befindet...
Der erste Gegenschlag gegen die Abschiebung von Roma und Sinti aus Deutschland, fand von einer handvoll jüdischer Aktivisten von 17 bis 67 Jahren am 19. Oktober in Rostock statt.


taz, 17.10.1992
Rostock
Juden für Roma

Paris/Rostock (AFP) - Vertreter mehrerer jüdischer Organisationen aus Frankreich wollen am kommenden Montag in Rostock gegen die deutsch-rumänische Abschiebe Vereinbarung protestieren. Sie wollen mit einer Mahntafel am Rostocker Rathaus an das Schicksal der Zigeuner im Dritten Reich erinnern. Deren Nachfolger würden heute wieder von deutschen Neonazis und Rechtsradikalen mißhandelt und durch die deutsche Vereinbarung mit Rumänien weiteren Gefahren ausgesetzt, erklärte die FFDJF.


FR, 20.10.1992
Juden demonstrieren in Rostock
Auseinandersetzung zwischen militanten Franzosen und Polizei

ROSTOCK, 19. Oktober (AFP/AP). Bei einer Protestaktion französischer Juden gegen den deutsch-rumänischen Abschiebevertrag ist es am Montag in Rostock zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei besetzte am Nachmittag den Bus, in den sich die Franzosen zurückgezogen hatten, nachdem Mitglieder der militanten jüdischen Jugend- und Studentenorganisationen Tagar und Betar vier zuvor festgenommene Demonstranten unter Einsatz von Tränengas aus dem Polizeigewahrsam befreit und dabei acht Beamte leicht verletzt hatten.
Der mit 46 Mitgliedern von Tagar und Betar sowie der "Söhne und- Töchter der Deportierten Juden aus Frankreich" (FFJDF) besetzte Bus wurde von einer Polizeieskorte auf die Wache begleitet, die Demonstranten  wurden vorläufig festgenommen. Nach Angaben von Polizeidirektionschef Dieter Hempel droht ihnen ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung.
Am Vormittag hatten die Demonstranten am Rostocker Rathaus eine Gedenktafel angebracht, die an die Ausländerfeindlichen Krawalle von Rostock erinnern und an die Verfolgung von Juden sowie Sinti und Roma im "Dritten Reich" mahnen soll. Danach verbrannten Demonstranten eine Hakenkreuzfahne, verprügelten einen Skinhead und drangen in das Rathaus ein, wo sie die Tür eines CDU-Fraktionsraums aufbrachen und Transparente mit den Aufschriften "Germany, don't forget history" (Deutschland, vergiß die Geschichte nicht) und "Damals vergast, heute abgeschoben" aus den Fenstern hielten.
Die Aktion, an der sich auch die Publizistin Beate Klarsfeld und der Roma National Congress beteiligten, richtete sich gegen den deutsch-rumänischen Vertrag vom 24. September, der die beschleunigte Abschiebung von asylsuchenden Roma nach Rumänien ermöglicht.  Es sei Pflicht der Juden, gegen diesen "fürchterlichen Vertrag" Solidarität mit den Roma zu zeigen, sagte Klarsfeld.


taz, 21.10.1992
Drei Franzosen bleiben in Haft
Nach Festnahme französischer Juden in Rostock fürchtet der Oberbürgermeister nun ein antisemitisches Image für seine Stadt / Staatsanwaltschaft verteidigt Verhalten der Polizei

Berlin/Rostock (taz) - 24 Stunden nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen französischen Juden und deutschen Polizisten sorgt sich der RostockerOberbürgermeister, Klaus Kilimann, um einen möglichen "antisemitischen Ruf der Stadt". Das Vorgehen der Polizei, die am Montag nachmittag über 40 Demonstranten - unter ihnen die "Nazi-Jäger" Serge und Beate Klarsfeld - nach einer Sitzblockade und Aktionen im Rathaus der Hansestadt festgenommen hatte, wurde gestern von staatlicher Seite verteidigt. Gegen 46 Demonstranten wurden Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs eröffnet.
Oberstaatsanwalt Martin Slotty erklärte gegenüber der taz, die Polizei habe zunächst "sehr zurückhaltend" reagiert, "obwohl die Demonstranten bereits Straftaten verübt hatten". Die Polizei habe sogar zugesehen, als die Frontscheibe eines Autos zertrümmert worden sei. Der Fahrer des Wagens hatte versucht, die Sitzblockade zu durchbrechen. Die Polizeibeamten hätten eingegriffen, als die Demonstranten ein Zimmer der CDU im Rathaus aufgebrochen hätten.
Die meisten Gefangenen wurden bereits in der Nacht zum Dienstag aus der Untersuchungshaft entlassen, drei Franzosen bleiben jedoch in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Gefangenenbefreiung und "besonders schweren Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" vor. Ihnen war es am Montag nachmittag gelungen, vier Demonstranten aus dem Polizeigewahrsam zu befreien. Nach Polizeiangaben sollen sie dabei auch Tränengas eingesetzt haben. Oberstaatsanwalt Slotty erklärte, daß die drei Festgenommenen im Falle ihrer Verurteilung mit Haftstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren rechnen müßten. Einer der Festgenommenen habe erklärt, er sei Jude, die beiden anderen hätten keine Angaben zur Konfession gemacht.
Die meisten Demonstranten sind Mitglied der französischen FFJDF, zu deutsch: "Söhne und Töchter der aus Frankreich deportierten Juden". Ihr Protest richtete sich gegen die rassistischen Ausschreitungen in Rostock und den jüngst vereinbarten deutsch-rumänischen Vertrag, der die Abschiebung von in Deutschland asylsuchenden Roma nach Rumänien regelt. An der Protestaktion in Rostock hatten sich auch einige Roma beteiligt.
Während die Rostocker Parteien - inklusive des Bündnis 90 - den Protest als "provokativ bezeichneten, wurde die Demonstration von der Roma Union Berlin begrüßt. Ihr Sprecher, Alfred Erdölli, erklärte gegenüber der taz, er sei froh, "daß sich französische Juden für die Belange der Roma einsetzen". Der Zentralrat der Juden in Deutschland war gestern zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen: Die jüdischen Gemeinden feierten das Simcha-Thora-Fest.
Völlig unklar ist zur Zeit, was mit der von den Demonstranten am Rathaus angebrachten Gedenktafel passieren soll. Auf eine gemeinsame Textfassung hatten sich die FFDJF und der Rostocker Senat vor der Demo nicht einigen können.
Die französischen Juden hatten darin die Vernichtung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus mit den jüngsten Übergriffen in Rostock verglichen. Oberbürgermeister Kilimann hatte daraufhin erfolglos um eine "entschärfte" Version gebeten. Inzwischen haben sich Mitarbeiter des Jugend-Alternativ-Zentrums (JAZ) der Hansestadt bereit erklärt, die Tafel in der Originalfassung an ihrem Gebäude anzubringen. Kilimann bemühte sich inzwischen um Kontakt zum Zentralrat der Juden in Deutschland, um mit dessen Vorsitzenden, Ignatz Bubis über eine veränderte Gedenktafel zu verhandeln. Gespräche mit der FFDJF lehnt Kilimann kategorisch ab.
Die zwischen 17 und 72 Jahre alten Demonstranten, die mit zwei Reisebussen nach Rostock gefahren waren, wurden für den gestrigen Abend wieder in Paris zurückerwartet


taz, 22.10.1992
Serge Klarsfeld gibt sich militant
"Solidaritätskomitee" mit inhaftierten französischen Juden verübt Anschlag auf das Goethe-Institut in Paris / Gedenktafel vom Rostocker Rathaus entfernt

Berlin (taz) - Serge Klarsfeld, inzwischen wieder in Paris eingetroffen, fordert die Freilassung der drei französischen Juden, die in Rostock wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Gefangenenbefreiung angeklagt werden sollen. Sowohl der deutsche Botschafter in Paris als auch das französische Konsulat in Hamburg hätten sich in die Angelegenheit eingeschaltet. Das "Solidaritätskomitee", das die Verantwortung für eine zerbrochene Fensterscheibe des Pariser Goethe-Instituts übernommen hat, droht inzwischen mit weiteren militanten Aktionen: Solange die Franzosen in Haft seien, müßten deutsche Institutionen mit "Zermürbung und Demütigung" rechnen, erklärte ein anonymer Anrufer der Pariser Polizei.
Solche Aktionen seien "auf der einen Seite ganz gut, auf der anderen Seite aber schlecht", äußerte sich Klarsfeld sybillinisch. Er könne sich durchaus vorstellen, daß deutsche Behörden das Ziel gewalttätiger Angriffe werden könnten, solange der "Deportationsvertrag für Roma" zwischen Deutschland und Rumänien bestehe. Nächste Woche werde seine Frau, Beate Klarsfeld, nach Israel reisen, um die Kampagne gegen diesen Vertrag fortzuführen. Sein Sohn werde noch in dieser Woche beim UNO-Flüchtlingsrat in Genf vorstellig werden.
Die von den Demonstranten am Rostocker Rathaus angebrachte Gedenktafel wurde inzwischen auf Anordnung des Senats wieder abgenommen - der Text erschien den Stadtvätern zu provokativ. Auf ihr waren folgende Sätze zu lesen: "In dieser Stadt 'gingen Menschen im August 1992 erneut mit rassistischen Gewalttaten und Brandstiftungen gegen unschuldige Familien, Kinder, Frauen und Männer vor. Wir erinnern an die Millionen Kinder, Frauen und Männer, die - weil als Juden oder Sinti und Roma geboren - dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. In einer einzigen Nacht unvergeßlichen Grauens wurden am 2. August 1944 die 3.000  noch lebenden Menschen im "ZigeunerIager" von  Auschwitz-Birkenau durch Gas ermordet. Diese Erfahrungen und historischen Verpflichtungen für das deutsche Volk müssen wachgehalten werden, um zu verhindern, daß sich die Gewalt und Menschenverachtung jemals."
Den ersten Satz wollte der Präsident der Bürgerschaft, Christoph Kleemann (Bündnis 90), streichen und durch die Worte "Wehret den Anfängen" ersetzen lassen. Satz Nummer drei sollte völlig gestrichen werden. "Es gab in Rostock keine rassistischen Gewalttaten", empörte sich der Referent des Präsidenten, Holger Jahns, gestern und machte sich Sorgen um eine saubere Geschichtsschreibung: "Man kann doch Lichtenhagen und Auschwitz nicht gleichsetzen."
Nun steht die Gedenktafel im Keller der Bürgerschaft. Noch gestern abend tagte der Ältestenrat des Parlaments, um über den Verbleib der ungeliebten Inschrift zu entscheiden. "Die Chancen, daß das Thema auf die nächste Sitzung in einer Woche vertagt wird", seien sehr groß, erklärte eine Mitarbeiterin.


FAZ, 22.10.1992
Deutsches Kulturzentrum in Paris verwüstet

PARIS, 21. Oktober (AP/dpa). Das deutsche Kulturzentrum in Paris ist in der Nacht zum Mittwoch von Unbekannten verwüstet worden. Bei der Polizei bezichtigte sich ein "Solidaritätskollektiv mit den französischen jüdischen 'Gefangenen in Deutschland" des Überfalls, bei dem Fensterscheiben eingeworfen und Wände mit antinationalsozialistischen Parolen beschmiert wurden. Das Komitee verlangte die Freilassung dreier in Rostock inhaftierter Franzosen und drohte weitere "Zermürbung und Demütigung" deutscher Institutionen in Frankreich an. Das Amtsgericht Rostock hat unterdessen gegen die drei französischen Staatsangehörigen, die sich an einer Demonstration gegen die Abschiebung von Roma aus Deutschland beteiligt hatten, Haftbefehl erlassen. Die drei sind "dringend des besonders schweren Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, der Gefangenenbefreiung und Körperverletzung verdächtig". Ihnen wird vorgeworfen, vier vorläufig festgenommene Mitglieder einer französischen Gruppe unter Einsatz eines äußerst aggressiven Reizgases befreit zu haben.


FR, 22.10.1992
Rostocker Aktion französischer Juden sollte Deutsche mobilisieren
Angriff, auf Pariser Goethe-Institut als Vergeltung für Verhaftungen / Beate Klarsfeld wirft Polizei Brutalität vor

PARIS, 21. Oktober. Als Reaktion auf die Inhaftierung von drei jüdischen Demonstranten in Rostock haben am späten Dienstag abend in Paris Unbekannte einen Anschlag auf das Goethe-Institut verübt. Zu dem Angriff, bei dem die gläserne Eingangstür mit Steinen zertrümmert und ein Fenster mit einem Hakenkreuz beschmiert wurde, bekannte sich am Mittwoch ein "Solidaritätskollektiv mit den französische jüdischen Gefangenen in Deutschland". In dem Bekennerschreiben verlangten die Täter nach Mitteilung der Polizei die Freilassung der drei Franzosen und drohten weitere Akte, zur „Zermürbung und  Demütigung" deutscher Institutionen in Frankreich an.
Beate Klarsfeld, die mit ihrem Mann, dem Rechtsanwalt und Vorsitzenden der  "Vereinigung der Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs", Serge Klarsfeld, am Montag die Aktion in Rostock organisiert hatte, bezeichnete in einem Telefongespräch mit der FR in Paris die gegen die drei Demonstranten von Polizei und Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe als "absurd". Das Rostocker Amtsgericht hat gegen die drei jungen Leute wegen. Widerstandes gegen Vollzugsbeamte, gefährlicher Körperverletzung und Gefangenenbefreiung Haftbefehl erlassen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft haben die Franzosen bei der Befreiung mehrerer festgenommener Landsleute ein äußerst aggressives Verhalten eingesetzt. Dadurch seien Polizisten so schwer verletzt worden, daß sie dienstunfähig seien.
Das Ehepaar Klarsfeld und 41 weitere Demonstranten waren am Dienstag auf freien Fuß gesetzt worden. Auf den Hinweis, daß gegen sie und ihren Mann ermittelt werde, sagte Klarsfeld: "Na und?"
Frau Klarsfeld erhob ihrerseits schwere Vorwürfe gegen die Rostocker Polizei, "die nichts gegen Rechtsradikale tut, gegen uns aber mit großer Brutalität vorgegangen ist". Ihre Absicht sei es gewesen, die deutsche Öffentlichkeit gegen den zwischen Bonn und Bukarest geschlossenen Vertrag zur Abschiebung von Sinti und Roma zu mobilisieren.
Nachdem mit der Hansestadt keine Einigung über die Anbringung einer Mahntafel habe erzielt werden können, sei der Entschluß gefaßt worden, selbst zu handeln, und zwar  wegen des bevorstehenden Inkraftretens des Vertrages "so schnell wie möglich".
"Wir haben uns ganz friedlich verhalten", berichtete Beate Klarsfeld. Sie seien unbewaffnet gewesen und bei den angeblichen Baseballschlägern habe es sich um die Stangen der Fahnen gehandelt, die sie mit sich führten. Sie hätten allerdings Reizgas dabei gehabt, um sich verteidigen zu können. "Wir mußten ja damit rechnen, von Skinheads angegriffen zu werden, die die Polizei gewähren läßt", sagte sie." Ungehindert seien sie zu fünft ins Rathaus gelangt und hätten vor dem Betreten des Fraktionssaales der CDU sogar höflich angeklopft. Der dort anwesende Beamte habe sich durch ihr Tun nicht beim Verzehr eines Hühnchens stören lassen. Erst als sie das Fenster öffneten und ein Spruchband hinaushingen, sei die Polizei erschienen.
„Die Beamten sind sofort rabiat geworden", berichtete Frau Klarsfeld weiter. Sie selbst sei einem Hieb mit dem Schlagstock nur deshalb entkommen, weil sie von ihrem Mann geistesgegenwärtig zu Boden geworfen worden sei. Serge Klarsfeld habe dem Polizisten dann mit einer Fahnenstange gedroht, wenn er sich nicht mäßige. Man habe sie dann abziehen lassen, kurz vor Erreichen ihres Busses aber festgenommen.
Zu dem Anschlag auf das Goethe-lnstitut in Paris meinte Frau Klarsfeld, es gebe wohl jüdische Gruppen, denen der Gedanke unerträglich sei daß Juden wegen „einer Lappalie" im selben Gefängnis säßen wie Skinheads. Das Goethe-Institut unterstrich am Mittwoch in einer Erklärung seine Dialogbereitschaft und äußerte Verständnis für die Sorgen wegen der fremdenfeindlichen Ausschreitungen, meldete die Nachrichtenagentur AFP. Das französische Außenministerium äußertet AFP zufolge Bedauern über die Ausschreitungen  französischer Juden gegen Polizisten in Rostock.


FR, 24.10.1992
Statt in Rostock eine Mahntafel am Römer

Was in Rostock verhindert wurde, soll in Frankfurt gelingen: Am heutigen Samstag, 11 Uhr, wird eine Initiative, die mit "Antirassistische Gruppen, Frankfurt", zeichnet, am Römer eine Mahntafel anbringen, die eine Verbindung zwischen den rassistischen Ausschreitungen der Gegenwart und den Nazi-Verfolgungen zieht.  Bei dem Versuch, eine solche Tafel am Rostocker Rathaus anzubringen, waren Angehörige der Gruppe, "Töchter und Söhne der deportierten französischen Juden" am 19.Oktober festgenommen worden. Die Frankfurter Veranstaltung soll als Solidaritätsaktion verstanden werden. 


FAZ, 25.10.1992
Gedenktafel an Rathausmauer

wvp. FRANKFURT. Vor den Augen von rund 30 Polizisten hat gestern am frühen Vormittag ein Teilnehmer einer Kundgebung "gegen Fremdenfeindlichkeit und die Abschiebung von Sinti und Roma" vier Löcher in die Außenwand des Römers gebohrt und eine Gedenktafel angeschraubt, auf der an den Völkermord an Juden und Sinti und Roma im Dritten Reich erinnert wird. Nach Angaben der Polizei hat die Stadtverwaltung das Anbringen der Gedenktafel toleriert, deshalb hätten die Ordnungskräfte nicht eingegriffen. An der Kundgebung, zu der eine "antirassistische Gruppe" aufgerufen hatte, beteiligten sich etwa 200 Personen. Mit der Gedenkschrift wollen die Veranstalter nach eigenem Bekunden Solidarität mit der Gruppe "Söhne und Töchter der deportierten französischen Juden" zeigen, die zu Beginn der Woche in Rostock eine Tafel gleichen Inhalts am dortigen Rathaus angebracht hatten. Ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz sagte auf der Kundgebung, "es riecht wieder nach Gas in Deutschland". Die Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte müßten gestoppt, Rädelsführer unnachgiebig verfolgt werden.


FR, 26.10.1992
Rostocker Mahntafel hängt jetzt am Römer

Links ein bißchen zu hoch, aber fest - so hängt links neben dem Römer-Eingang seit Samstag die Mahntafel, um die es am 19. Oktober in Rostock harte Auseinandersetzungen gab. Wie aus dem Magistrat zu hören war, gebe es in der hiesigen Stadtregierung keine Bedenken.
"In Rostock und anderen deutsche Städten", so der Text, "gingen Menschen im August 1992 mit rassistischen Gewalttaten und Brandstiftungen gegen unschuldige Familien, Kinder, Frauen und Männer vor. Wir erinnern an die Millionen Kinder, Frauen und Männer, die, weil als Juden, Sinti und Roma geboren, dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. In einer einzigen Nacht unvergeßlichen Grauens wurden am 2.8.1944 die 3000 noch lebenden Menschen im Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau durch Gas ermordet. Diese Erfahrungen und historischen Verpflichtungen für das deutsche Volk müssen wachgehalten werden, um zu verhindern, daß sich Gewalt und Menschenverachtung je wiederholen."
Die Aufgabe, diesen Text in Frankfurt anzuschlagen, hatten sich die "Antirassstischen Gruppen, Frankfurt" und eine "Antifaschistische Aktion" gestellt.


FAZ, 26.10.1992
Juden demonstrieren abermals vor der deutschen Botschaft in Paris

PARIS, 25. Oktober (AFP). Aus Protest gegen die Verhaftung dreier junger französischer Juden in Rostock haben am Sonntag abend wieder etwa 250 Angehörige der jüdischen Gemeinschaft von Paris vor der deutschen Botschaft demonstriert. Sie forderten die Freilassung der Verhafteten und skandierten Satze wie "Deutschland bleibt, was es immer war" oder "Vorher, nachher, Deutschland hat sich nicht geändert". Einer ihrer Sprecher appellierte an die französische Regierung, sich für die in Rostock festgenommenen Demonstranten einzusetzen. Denen wird vorgeworfen, während einer Kundgebung militanter Juden gegen den deutsch-rumänischen Abschiebevertrag acht Polizisten verletzt zu haben.


FAZ, 26.10.1992
Gedenktafel wieder von Rathauswand genommen

ads. Die Mahntafel, die Mitglieder der Antirassistischen Gruppe Frankfurt am Samstagmorgen am Haupteingang des Römer angebracht hatten, ist noch am selben Abend von der Stadtverwaltung wieder entfernt worden. Die Teilnehmer einer Kundgebung "gegen Fremdenfeindlichkeit und die Abschiebung von Sinti und Roma" hatten, wie in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" berichtet, vier Löcher in die Rathauswand gebohrt und die Gedenktafel angeschraubt. Die Inschrift sollte an den Völkermord an Juden und Sinti und Roma während der Zeit des Nationalsozialismus erinnern.
Die Stadt war nach Angaben des Hauptamtsleiters Ulrich Uebele von der Polizei über das in einem Flugblatt angekündigte Vorhaben der Gruppe informiert worden. "In Absprache mit der Polizei" habe man sich dazu entschlossen, das Anbringen der Tafel zuzulassen und sie später "sang- und klanglos" wieder zu entfernen. Auf diese Weise sollten Auseinandersetzungen vor dem Römer verhindert werden, zumal unter den Kundgebungsteilnehmern "eine gewisse Gewaltbereitschaft erkennbar" gewesen sei.



Förderverein Roma e.V.,
Frankfurt am Main, 11.12.2004