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Grußwort von Joachim Brenner (Vorsitzender FVRoma)

zum Fachtag von MIA zu  Antiziganismus und Schule am 29.10.2025

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Erfolg von Bildung hängt mit Respekt, mit Verständnis, mit Vertrauen und mit Sicherheit zusammen – insbesondere, wenn es um die Unterstützung und Förderung von Kindern und Jugendlichen geht, die in ihrem praktischen Erfahrungsschatz regelhaft mit dem Gegenteil zu tun haben. Jede voraussetzungslose pädagogische Herangehensweise, die davon ausgeht, dass die Startsituation stets gleich ist, zementiert Benachteiligung und Ausgrenzung. Vergegenwärtigt man sich die seit Jahren von den Organisationen der Roma und Sinti geführte Kritik am Bildungsbetrieb, so tut sich sehr offensichtlich die Frage auf, warum die eben benannte Schulweisheit – nämlich das Gebot der Differenzierung – zu oft unzulänglich umgesetzt wird. Dabei geht es nicht um methodisch didaktische Feinheiten, die sind sicherlich in Unterricht und Betreuung auch erforderlich. Nein, es geht zuvorderst darum, festzustellen, dass die Grundlage für ein gerechtes Bildungsangebot das Wissen und das Verständnis über Diskriminierung, über die Bedeutung von jahrhundertelanger Marginalisierung und Verfolgung ist. Sicherlich führt das nicht per se dazu, dass dem logisch ein aufgeklärter Lehrkörper folgt, der in achtsamer Weise unterrichtet und ebenso kommuniziert. Sie ist aber dennoch unabdingbar.

Ebenso existentiell – und das wird in dem Zusammenhang oft vergessen – ist die materielle Absicherung von Kindern und Jugendlichen, nämlich, den Raum zum Lernen zu haben, Ruhe und Unterstützung zu erfahren, sich in einer geschützten selbstbestimmten Umgebung aufhalten zu können und nicht ständig mit materiellen Nöten und Ängsten konfrontiert zu werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, Schule, Kita, Jugend- und Erwachsenenbildung, Universität und Hochschule sind wesentliche Bestandteile von Staat und Gesellschaft. Antiziganismus ist ein Wesenszug auch dieser Institutionen. 25 Prozent der Bevölkerung wählen eine rechtsextreme Partei. Die letzte Leipziger Mitte-Studie bestätigt die Zunahme von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und dokumentiert in erschreckendem Maße die latent rassistische Haltung gegenüber Roma und Sinti. Knapp die Hälfte der Befragten der repräsentativen Erhebung geben an, ein Problem zu haben, wenn sich Roma und Sinti in der Nachbarschaft aufhalten, über die Hälfte unterstellen der Minderheit Kriminalität und 40 % möchten Roma und Sinti aus der Innenstadt entfernen. Vor dem Hintergrund ist die Aussage von Bundeskanzler Merz - der bezüglich des Themas Migration auf das angeblich problematische Bild der Innenstädte hinweist - zu verstehen: sie kolportiert rassistische Stereotypen und bedient einen Kontext, der von Populismus, Gewalt und Missachtung geprägt ist. Es sollte nicht vergessen werden, dass auch in der NS Terminologie davon die Rede war, dass Juden und Jüdinnen die Innenstadt verderben.

Die Zunahme von Diskriminierung und Marginalisierung dokumentiert auch die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus des Bundes. Die in 2024 beschriebenen Vorfälle sind mit 1.678 um 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Die hessische Meldestelle verzeichnet mit 159 Vorfällen eine Erhöhung von 40 Prozent gegenüber 2023. Antiziganistische Äußerungen haben sich verdoppelt, darunter verbale Angriffe wie Beleidigungen, Diffamierungen und Herabwürdigungen. Wir sprechen dabei von der sichtbaren Spitze des Eisbergs und gehen von einer sehr hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter Vorfälle aus.

Gerechtigkeit in der Bildung geht einher mit dem Abbau von Antiziganismus. In der täglichen pädagogischen Arbeit des Förderverein Roma ist deutlich zu erkennen, dass die gute und erfolgreiche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die positiven Ergebnisse in der Erwachsenenbildung, der Spaß beim Lernen, die Identifikation mit gemeinsamen erarbeiteten Inhalten und Zielen das erschlagende Vorurteil von Bildungsferne und Desinteresse nicht nur widerlegen, sondern aufzeigt, dass diese letztlich menschenverachtende Haltung eine Konstruktion der gesellschaftlichen Mehrheit ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, durch MIA wird nicht nur sichtbar, was Antiziganismus bedeutet, sondern auch die Notwendigkeit dokumentiert, dass die Arbeit der Melde- und Informationsstelle fortgesetzt und abgesichert werden muss. Zum heutigen Zeitpunkt ist dies für das kommende Jahr noch nicht der Fall. Deshalb wiederholt der mehr als dringende Appell an Land und Bund, alles zu tun, damit MIA weiter besteht.

Ich wünsche dem Fachtag und der Regionalkonferenz der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus viel Erfolg.

Vielen Dank.

Einladung und Programm
Presseerklärung von MIA zu den Ergebnissen der Konferenz