Zur geplanten Abschiebung von Roma-Flüchtlingen (Nov. 2001)


Menschen, die zwar nicht als Asylsuchende nach Art. 16a GG oder ansonsten als Flüchtlinge anerkannt werden, aber Abschiebeschutz erhalten bzw. wegen fortdauernden Abschiebehindernissen in Deutschland bleiben werden, wollen wir einen Aufenthaltsstatus bieten, der ihnen eine Lebensplanung und -perspektive ermöglicht.“ Ein Eckpunkt der Süssmuth-Kommission, der auch für die Roma-Flüchtlinge aus Osteuropa nach Jahren der Ungewissheit endlich Sicherheit bedeuten könnte. Familien, die zum Teil bereits seit 1989 im Bundesgebiet leben hätten durch die Absicherung des Aufenthalts die Möglichkeit, sich eine selbstbestimmte Lebensperspektive aufzubauen. Die Wirklichkeit sieht jedoch völlig anders aus. Die Situation der Roma-Flüchtlinge im Rhein-Main-Gebiet verdeutlicht das exemplarisch.

Die größte Gruppe, etwa 800 bis 1000 Personen, der in Frankfurt am Main und Umgebung lebenden Roma stammt aus Rumänien. Pogrome, soziale und ökonomische Not veranlasste die Menschen in den achtziger und neunziger Jahren in den Westen zu flüchten. Ihr Asylantrag wurde regelhaft abgelehnt, da der Informationsdienst des auswärtigen Amtes stets darauf verwies, dass in Rumänien keine staatliche Verfolgung gegenüber Roma existiere. Anderslautende Berichte von Betroffenen, von Selbsthilfeverbänden oder von international renommierten Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen wie ai, UNHCR und helsinki watch waren in den Augen der Einzelentscheider und Richter das Papier nicht Wert, auf dem die nachweislichen Menschenrechtsverletzungen dokumentiert wurden. Als letzter Ausweg blieb den Familien die Ausbürgerung aus der rumänischen Staatsbürgerschaft, um als Staatenlose der Abschiebung zu entgehen. 

1992 schloss die Bundesregierung mit Rumänien einen Rückübernahmevertrag ab. Die zwischenzeitlich bewerkstelligten Aktualisierungen der Vereinbarung zeigen nunmehr praktischen Erfolg. In einem ersten Schritt wurde mit Geld und Druck die Ausreise in den Westen erschwert und Technik und Logistik der rumänischen Grenzbehörden verbessert. Ein zweiter Schritt erleichterte die Identifikation; d. h. das Zeugnis eines unbeteiligten Dritten reichte aus, um Roma aus Rumänien bereits an der deutschen Grenze zurückweisen zu können. Die nächste Stufe bewirkte, dass denjenigen, denen die Flucht gelang und die sich in der Bundesrepublik aufhielten, die Rechtmäßigkeit der Ausbürgerung abgesprochen wurde. Die Urkunden wurden überprüft, das Personal der rumänischen Botschaft in Bonn und Berlin ausgewechselt und etwa 80 % der Ausbürgerungsurkunden laut Information der Ausländerbehörde Frankfurt am Main als rechtlich unwirksam eingestuft.

In der Konsequenz für die Betroffenen bedeutet das: Verlust des Reisedokumentes, Verlust der Aufenthaltsbefugnis bzw. -erlaubnis und dadurch bedingt, Verlust der Arbeit oder der Sozialhilfe, soweit diese überhaupt geleistet wurde. 

Viele Familien erhalten nach den neuen Richtlinien eine Duldung, also die Aussetzung der Abschiebung oder eine Grenzübertrittsbescheinigung, ein Dokument, das die Roma auffordert, innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig das Land zu verlassen. Die Personen sind nach jahrelanger Unsicherheit nun an einem Punkt angekommen, an dem der Begriff Perspektive keine Bedeutung mehr hat.

Eine letzte Vereinbarung zwischen Innenminister Schily und seinem rumänischen Amtskollegen vom Mai diesen Jahres hat zur Zielsetzung, dass auch die rechtmäßig ausgebürgerten staatenlosen Roma von Rumänien zurückgenommen werden, da die Ausbürgerung nach hiesiger Einschätzung angeblich gegen geltendes Völkerrecht verstoßen hätte. Eine Behauptung, die zumindest was die Ausbürgerungen bis Mitte der 90er Jahre anbetrifft, verwaltungsgerichtlich keinen Bestand hat. Darüber hinaus ist die Rede davon, dass auch Roma, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten, allerdings illegal eingereist sind, straffällig wurden oder ohne Erlaubnis arbeiten „rückgeführt“ werden können. Die Inaussichtstellung EU-Land zu werden, die Zahlungen von Beträgen zwischen 60 und 100 Millionen DM seit Anfang der 90er Jahre öffnet auch in Rumänien Tür und Tor für politische und rechtliche Willkür gegenüber Roma. 

Ein Aufbäumen seitens der demokratischen Öffentlichkeit hierzulande ist nicht zu verzeichnen. Im Gegenteil, Pressekampagnen der Roma-Verbände und Proteste der Betroffenen werden mehrheitlich ignoriert. Es interessiert niemanden, was mit den Menschen passiert. Meinungsmachend ist die Auflagenstärke der Zeitung, die Wählerstimme für die Partei, die Einschaltquote des Senders und die Bedienung der ungeteilten Ablehnung von Roma in der breiten bundesdeutschen Bevölkerung. Die herrschende Meinung in Bezug auf Roma wird gegenwärtig beispielsweise durch den bayrischen Urteilsspruch, wonach Michel Friedmann, stellvertretender Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ungestraft als „Zigeunerjude“ denunziert werden darf oder durch dass öffentlich bekundete Eintrittsverbot für „Zigeuner“ im einzigen Freibad in Offenbach hinlänglich beschrieben. 

Nach aktuellen Angaben steht zu befürchten, dass in den nächsten beiden Jahren allein im Frankfurter Raum zwischen 200 und 600 Roma aus Rumänien abgeschoben werden. Dabei handelt es sich um Kinder, deren Sprache romanes und deutsch und nicht rumänisch ist, um Kinder, die hier geboren sind; es handelt sich um Erwachsene, bei denen die Erinnerung an Verfolgung, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit wach ist; es handelt sich um Alte und Kranke, deren Versorgung in Rumänien nicht gewährleistet ist. 

Ein Petitionsverfahren, das der Förderverein Roma zur Zeit betreibt, verdeutlicht die schwierige Lage der Familien. 

Ein junger Mann, Herr M., ist im Jahr 1991 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Seine Tochter wurde 1991 in Offenbach geboren. Die Mutter der Tochter reiste kurz nach der Geburt aus. Außer der Geburtsanzeige besitzt die Tochter keine Papiere. Seit zehn Jahren lebt der Vater mit seiner Lebensgefährtin, die im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis ist, zusammen. Die beabsichtigte Eheschließung zwischen beiden scheiterte bisher an fehlenden Papieren rumänischer Behörden. 

Herr M. war aufgrund einer gültigen Ausbürgerungsurkunde im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis mit dem Vermerk staatenlos. Der Tod seiner Schwester, die alleine in Rumänien lebte, zwang ihn auszureisen, um die Beerdigungsformalitäten in Rumänien zu erledigen. Hierzu war u. a. die Ausstellung eines rumänischen Passes durch die rumänischen Behörden erforderlich. Herr M. verlor damit nach seiner Rückkehr nach Deutschland den Status als Staatenloser. Die Befugnis wurde entzogen und eine Duldung erteilt. Mit der Vorlage des rumänischen Passes leitete die Ausländerbehörde Frankfurt ein Überprüfungsverfahren ein, das nun nach vier Jahren mit der Aufforderung das Land zu verlassen endete.

Herr M. hat stets für seine eigene Tochter und die Tochter seiner Lebensgefährtin gesorgt. Bei dem Jugendamt Frankfurt hat er darüber hinaus eine Sorgeerklärung für die Stieftochter abgegeben. Beide Kinder besuchen die Kindertagesstätte „Schaworalle“ des Förderverein Roma. Die Tochter von Herrn M. befindet sich zur Zeit in einem Schulintegrationskurs.

Aufgrund der Duldung konnte Herr M. bislang trotz etlicher Bemühungen keine Arbeit finden und lebte von Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Unterstützung für Vater und Tochter wurde mit dem Verlust der Duldung und der Ausstellung einer Grenzübertrittsbescheinigung eingestellt.

Herr M. hat nachweislich seit über zehn Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Frankfurt am Main. Kein Angehöriger der Familie lebt mehr in Rumänien. Die geplante Abschiebung würde Herrn M., der als Roma in Rumänien keinerlei Perspektive hat und wegen seiner ethnischen Herkunft erheblichen rassistisch motivierten Repressionen ausgesetzt ist, in existentieller Weise an Leib und Leben gefährden. Ausführungen von amnesty international, der Menschenrechtskommission der EU, der Gesellschaft für bedrohte Völker, Filmberichte bezüglich der Lage von Roma und Roma-Kindern in Rumänien, die Berichterstattung internationaler Zeitungen und Periodika (FAZ, FR, Deutsch-Rumänische Hefte, Herbst 2000) sowie eine aktuelle Veröffentlichung der Berliner Ethnologin Brigitte Mihok (Roma in Ost- und Südeuropa, Ost-West Informationen, Graz) dokumentieren dies. 

Vor allem die Entwicklung der Tochter in persönlicher und schulischer Hinsicht wäre mit einer Ausweisung ihre Vaters bedroht. Nicht zuletzt würde die Zerstörung des Familienzusammenhangs auch die Existenz der Lebensgefährtin und deren Tochter nachhaltig in Frage stellen. Diese Einschätzung wird auch von dem Amtsvormund der Tochter geteilt. 

Joachim Brenner, Förderverein Roma, Frankfurt am Main

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